Dem grossen Portrait des Pianisten Herbie Nichols (1919–1963) folgt heute ein Programm mit Interpretationen seiner Musik durch andere Jazzmusikerinnen und -musiker. Nichols' ungewöhnliche Musik wird gerne mit jener eines anderen Aussenseiters der Jazzgeschichte verglichen, Thelonious Monk. Doch im Gegensatz zu Monk, vom dessen Melodien heute viele längst zum Standardrepertoire gehören, kam Nichols' Musik nie in den Genuss breiter Anerkennung. Seine Melodien sind zwar stets funkelnd und auch einprägsam, doch die Harmonien und Strukturen seiner Stücke sind oft komplex und bewegen sich fast immer abseits der üblichen Pfade.
Knapp drei Dutzend Stücke konnte Nichols zwischen 1955 und 1957 aufnehmen, aber für um die 200 Kompositionen hat er Copyrights angemeldet. Bekannt ist davon bisher etwas über ein Drittel. Der Posaunist Roswell Rudd (1935–2017) und der Bassist Buell Neidlinger, Freunde aus Nichols' späten Jahren, haben sich seit den Achtzigern um seine Musik bemüht und auch diverse Nichols-Alben herausgebracht. Rudd hat sich auch mit Steve Lacy und den Niederländern des ICP Orchestra, dem Pianisten Misha Mengelberg und dem Schlagzeuger Han Bennink zusammengetan. Der 2018 verstorbene Neidlinger, der eine Band leitete, die Bluegrass und Jazz verband, fand im Saxophonisten Marty Krystall einen verbündeten, die beiden nahmen auch im Trio mit dem Gitarristen Howard Alden ein Nichols-Album auf.
Der Pianist Frank Kimbrough und der Bassist Ben Allison gründeten zusammen das Herbie Nichols Project, das nach über einem Jahrzehnt der Erforschung von Nichols' Musik drei Alben herausbrachte. Alle diese Musiker verwirklichten einen Traum, den Nichols zeitlebens hegte, den er selber aber nicht mehr erlebte: Aufnahmen seiner Musik mit Bläsern zu verwirklichen.
Seit den Neunzigern, als Nichols' Blue Note-Aufnahmen – nach einer ersten Wiederveröffentlichung 1987 durch das kleine Reissue-Label Mosaic Records – durch ein 3-CD-Set bei Blue Note wieder weitere Verbreitung fanden, erlebte Nichols' Musik eine kleine Renaissance. Einzelne Stücke von Nichols tauchten im Repertoire von Geri Allen, Paul Motian, Dave Douglas, Vijay Iyer oder Thumbscrew auf, dem Trio mit der Gitarristin Mary Halvorson. In der Sendung sind aber auch weniger bekannte Musiker zu hören, etwa der Pianist Mike Melillo, die Gruppe des Gitarristen Eric T. Johnson oder der Fingerpicking-Gitarrist Duck Baker, der ein ganzes Solo-Album mit wundervollen Nichols-Interpretationen herausgebracht hat (siehe Bild).