Ende Juli verstarb der polnische Trompeter Tomasz Stanko im Alter von 76 Jahren. Ich entdeckte seine Musik im Jahr 1997, als eins seiner schönsten Alben erschien, "Litania", dem legendären polnischen Pianisten Krzysztof Komeda gewidmet, der Polen Mitte der Sechzigerjahre verliess. Komeda hatte schon in Polen Musik für Filme von Roman Polanski komponiert und tat das auch im Exil in Kalifornien weiterhin.

Stanko, der damals in Komedas Band spielte, sollte Polen ebenfalls verlassen, doch das klappte nicht. So lange er bei Komeda war, so erinnerte er sich später, hätte er nie das Bedürfnis verspürt, eine eigene Gruppe zu leiten, eigene Musik zu komponieren. Doch jetzt, Mitte der Sechziger, musste er den Schritt tun. Und so begann eine ausserordentliche Karriere, die sich noch über fast fünf Jahrzehnte hinziehen sollte - mit Höhen und Tiefen, aber vor allem mit einer Menge grossartiger Musik.
 
Daran wesentlich beteiligt war das Münchner Label ECM Records. Der am 11. Juli 1942 in Rzeszow geborene Trompeter orientierte sich in seinen frühen Jahren stark am Spiel von Miles Davis, doch daraus entwickelte er bald einen unverkennbaren eigenen Ton, zugleich drängend und zerbrechlich. In Polen musste Stanko beharrlich darauf einwirken, dass seine Alben erscheinen konnten. Erst 1970 kam erschien sein Debut "Music for K", dem 1969 in Hollywood verstorbenen Komeda gewidmet.

Es folgten "Purple Sun" (Calig) und "TWET" wieder auf Polskie Nagrania Muza. Schon diese drei Alben sind ein starkes Statement für Stankos Musik – eine Mischung aus freiem, treibendem Jazz mit starken melodischen Momenten. Und bereits 1975 erschien sein Debut auf ECM, "Balladyna". In den späten Siebzigern experimentierte Stanko mit elektronischen Sounds. Er leitete bis in die Achtziger keine eigene Band mehr und trat stattdessen mit unterschiedlichsten Musikern auf, darunter das Globe Unity Orchestra um Alexander von Schlippenbach, der britische Bassist Graham Collier, der finnische Drummer Edvard Vesala ("Satu", ECM, 1976; "Heavy Life", Leo, 1980) und die ebenfalls kürzlich verstorbene Free Jazz-Legende Cecil Taylor ("Winged Serpent (Sliding Quadrants", Soul Note, 1985).

Mit dem eingangs erwähnten 1997er-Album "Litania: Music of Krzysztof Komeda" erreichte Stanko eine neue Popularität. Im selben Jahr war mit "Leosia" bereits ein weiteres Meisterwerk erschienen. Im schwedischen Pianisten Bobo Stenson fand Stanko damals einen verwandten Musiker. In den frühen Nullerjahren trat er längere Zeit mit dem Trio auf, das später als Simple Acoustic Trio selbst ein paar ECM-Alben einspielen sollte. Der existentialistische Klang des Trompeters fügte sich nahtlos in das etwas konservative aber offene Spiel des Trios ein – drei Alben resultierten aus der Zusammenarbeit, zweimal hatte ich die Gelegenheit, die Gruppe im Konzert zu hören.

In den letzten Jahren trat Stanko wieder mit anderen Bands auf, etwa im Quintett mit dem Gitarristen Jakob Broo. Seine beiden jüngsten Alben spielte er mit dem "New York Quartet" ein, mit dem kubanischen Pianisten David Virelles, Reuben Rogers am Bass und Gerald Cleaver am Schlagzeug. Das letzte Album, "December Avenue", wurde im Dezember 2016 eingespielt. Kurz davor war Stanko beim Jubiläumskonzert zum 50. Geburtstag des Globe Unity Orchestra beim Jazzfest Berlin zu hören. Schon da wirkte der schmächtige, kleine Musiker zerbrechlich (der Mitschnitt ist gerade bei Intakt erschienen). Anfang dieses Jahres wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert und ein paar Wochen nach seinem 76. Geburtstag ist er am 29. Juli daheim in Warschau verstorben.