Ging es in der zehnten Folge von gypsy goes jazz um die Swing-Ära, so verfolgen wir in der elften die ersten Schritte auf dem Weg zum modernen Jazz. Ein Saxophonist aus Kansas City, Charlie Parker, sorgte schon Anfang der Vierzigerjahre mit seinen Soli in der Band Jay McShanns für Aufsehen. Seine ersten Soli klingen noch heute frisch und überraschend. Im Trompeter Dizzy Gillespie fand er einen Geistesverwandten, die beiden sprachen voneinander als "the other half of my heartbeat".

Der Bebop entstand aus verschiedenen Gründen. Die Big Bands hatten in den frühen Vierzigerjahren ihre Möglichkeiten in mancher Hinsicht ausgeschöpft, mit dem Kriegseintritt der USA bekundeten sie zunehmend Mühe, die Ränge vollzukriegen. Im Verlauf der Vierzigerjahre begann das grosse Big Band-Sterben, selbst Count Basie gab um 1950 für etwas über ein Jahr seine Band auf (im Oktett, das er in dieser Zwischenphase leitete, spielten auch Bebopper wie Wardell Gray und der kürzlich verstorbene Buddy DeFranco).

In New York entstand schon in den Dreissigern an der 52nd Street eine lebendige Musikszene, die auch kleinen Combos Spielmöglichkeiten bot. Im Famous Door, im Onyx, im Three Deuces traten Musiker wie Coleman Hawkins oder Don Byas auf, die den neuen Strömungen gegenüber aufgeschlossen waren. In After Hours-Clubs wie dem Minton's oder Clarke Monroe's Uptown House traf man sich nach getaner Arbeit, um unter seinesgleichen weiterzuspielen.

In lockeren Jam Sessions massen sich die Musiker nicht nur aneinander, der entspannte Rahmen bot auch Raum zur freien Entfaltung neuer Ideen, Raum für Experimente. So traf der junge Gitarrist Charlie Christian, der sich bei Benny Goodman einen Namen gemacht und aufmerksam der Musik Lester Youngs gelauscht hatte, bei Jam Sessions auf andere Neuerer des Jazz. Charlie Parker spielte im Jahr 1943 regelmässig im Monroe's, während im Minton's Thelonious Monk und Kenny Clarke zur Hausband gehörten. Auch Don Byas fand sich zu Jam Sessions ein, ebenso wie "Hot Lips" Page, mit Jahrgang 1908 wohl einer der ältesten Musiker, die sich dem Bebop öffneten. Er kam aus Dallas, Texas, spielte in Kansas City bei Bennie Moten (in der letzten Sendung zu hören) und später auch bei Artie Shaw und Count Basie.

Die Sendung präsentiert Musik von Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Billy Eckstine, Coleman Hawkins, Don Byas (der auch schon in der Sendung über Coleman Hawkins und seine Schüler zu hören war). Sie spinnt den Faden fort, der in der Sendung über die Jam Session schon aufgegriffen wurde: Wir hören Aufnahmen aus Hotelzimmern und Clubs ebenso wie aus dem Plattenstudio. Neben den bekannten Beboppern treten auch weniger geläufige Namen auf: Charles Thompson, Clyde Hart, Little Benny Harris, wir hören ebenso Aufnahmen von Trummy Young oder Cootie Williams, in deren Big Bands Bebopper Unterschlupf fanden. Und mit Blick zurück auf die Swing-Sendung hören wir auch, wie Benny Goodman oder Woody Herman mit der neuen Musik umgingen.

In den kommenden beiden Sendungen vom 30. April und 7. Mai wird es erneut um den Bebop gehen - und um "Cool Jazz" aus New York, der sich aus heutiger Sicht wie eine Spielart des Bop präsentiert.

(Flurin Casura)